Einführung ETCS und Fahrzeugbeschaffung S-Bahn
Sehr geehrte Frau Regionaldirektorin,
sehr geehrter Herr Vorsitzender,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
dieses Jahr wird ein gutes Jahr für den öffentlichen Nahverkehr: Es hat schon ungewöhnlich angefangen: Die jährliche Tariferhöhung zum 1. Januar wurde ausgesetzt. Ja, richtig, die Tickets sind zum Jahreswechsel nicht teurer geworden. Das erscheint mir doch erwähnenswert, auch wenn man sich dafür zu Jahresbeginn eine etwas größere Resonanz erwartet hätte.
Aber dabei bleibt es ja auch nicht, denn wir setzen wie beschlossen noch eins drauf: Ab April tritt die Tarifzonenreform in Kraft. Für fast jeden in der Region wird es nun sogar noch günstiger, weil wir die Zonen auf nur noch wenige Ringzonen beschränkt haben. Stuttgart wird eine Zone – wohlgemerkt zum Preis von einer Zone. Hier wurde ein ganz dickes Brett gebohrt. Mit entscheidendem Einsatz der Stadt Stuttgart und dem grünen OB und mit kräftiger finanzieller Unterstützung durch die grün geführte Landesregierung ist es gelungen. „Massive Tarifsenkungen – günstige Tickets – der ÖPNV so günstig wie nie“: Auf diese Schlagzeile werden wir uns freuen.
Wir hoffen nun alle, dass der Run auf den ÖPNV jetzt losgeht und deshalb treffen wir heute eine wichtige Entscheidung, vielleicht die wichtigste für die nächsten Jahrzehnte. Denn für viel mehr Fahrgäste muss der öffentliche Nahverkehr deutlich wachsen. Heute beschließen wir Zukunft: mehr Platz in den Zügen, 15 min Takt in der Fläche, neue Verbindungen und endlich wieder pünktliche S-Bahnen. Heute haben wir die Chance, eine großangelegte Kapazitätserweiterung anzuschieben und grüne S-Bahnträume wahr werden zu lassen.
Zwei Komponenten sind für den Ausbau entscheidend: es braucht viele neue Fahrzeuge und die Signaltechnik muss modernisiert und digitalisiert werden. Für beides ist der Zeitpunkt gerade ideal – oder anders gesagt: Wenn wir dieses Zeitfenster, das sich gerade auftut nicht nutzen, ist erstmal für sehr lange Zeit gar nichts mehr möglich. Diesen Moment nicht zu nutzen, hieße Stillstand für die nächsten 30 Jahre und wäre eine Bankrotterklärung der Region.
Die Chance bietet sich, weil die Signaltechnik im Knoten Stuttgart auf den neugebauten Strecken mit ETCS ausgestattet wird. Deshalb ist es sinnvoll, auch die Stammstrecke jetzt mit ETCS nachzurüsten. Für die Infrastruktur ist eigentlich die Bahn, also DB Netz, zuständig aber, meine Damen und Herren, einem armen Mann kann man wohl nicht in die Taschen greifen. DB Netz weigert sich, diese Infrastrukturmaßnahme zu finanzieren, so dass wir immer an einem Punkt gestanden sind, an dem es nicht mehr weiter ging. Auch fünf S-Bahn-Gipfel haben da nichts bewirkt. DB Netz sichert lediglich zu, dass sie die Maßnahme, wenn sie finanziert ist, auch umsetzt. Immerhin. Wir werten dies dennoch heute als Erfolg.
Eine Lösung für die Finanzierungslücke könnte jetzt über den Bund gefunden werden. Der Bundesverkehrsminister hat uns in Aussicht gestellt, dass wir ins Bundesförderprogramm „Digitale Schiene Deutschland“ aufgenommen werden könnten. Das würde zu unserem Vorhaben ideal passen. Ein Schreiben liegt uns vor, das allerdings leider ein bislang nur recht vages Unterstützungsangebot darstellt. Verglichen damit, wie schnell ein Nord-Ost-Ring Beschlusslage war oder wie schnell die Milliarden für Stuttgart 21 zugesagt wurden, ist das wenig. Wir wollen das Versprechen trotzdem als rettenden Strohhalm ergreifen. Die Region könnte d a s digitale S-Bahn-Vorzeigeprojekt für Deutschland werden. Hier können wir zeigen, wie Schienenverkehr der Zukunft im Ballungsraum funktioniert. Wir hoffen, dass Herr Scheuer und die Bundesregierung am Erfolg teilhaben wollen und die Förderung beschließen.
Hier, meine Damen und Herren, das muss man leider zugeben, tragen wir ein schmerzhaftes Risiko. Wenn diese Gelder nicht fließen, muss die Region einspringen. Aber, sollen wir uns abhängig machen von der Unentschlossenheit des Bundes und dem Unvermögen von DB Netz. Sollen wir die Zukunftsfähigkeit des regionalen Verkehrs auf' s Spiel setzen? Wir Grünen sind uns sicher, dass Nichtstun das Schlimmste für die Menschen in der Region bedeuten würde. Insofern tragen wir heute auch eine schwere Verantwortung.
Wir nehmen das Ausfallrisiko jedoch nicht allein auf uns, die Bahntochter DB Regio steht bei der Finanzierung fest an unserer Seite. DB Regio wird die S-Bahnen mit der neuen ETCS-Technik ausrüsten und steht gemeinsam mit uns im Risiko, wenn die Förderung nicht kommt.
Für die Kapazitätsausweitung benötigen wir viele neue Züge. Wir haben vor, längere Züge fahren zu lassen, um mehr Platz in den S-Bahnen zu schaffen. Es soll eine Durchbindung von weiteren Verbindungen der Nordlinien mit Vaihingen geben und weitere bis Böblingen. Die S6 soll verstärkt werden und die Taktlücken im 15 min Takt sollen geschlossen werden.
Zwei neue Züge beschafft DB Regio. Bei der Finanzierung der weiteren 56 S-Bahnen, greift uns das Land unter die Arme. Im Gegensatz zum Bund hat das Land erkannt, dass angesichts der Anforderungen für die Luftreinhaltung in der Region Stuttgart ein weiterer ÖPNV-Ausbau unbedingt erforderlich ist. Dabei ist das Land nicht nur bereit, eigene Züge (Stichwort Metropolexpress) zu bestellen, es hat uns auch eine Gesamtförderung von mehr als 210 Mio € zugesagt. Erst mit dieser Zusage der grün geführten Landesregierung ist es uns heute möglich, die Entscheidung zu treffen und in die Beschaffung einzusteigen.
Das Land unterstützt dabei die Beschaffung der Fahrzeuge mit Mitteln aus dem Landesverkehrsfinanzierungsgesetzes (LGVFG), Dafür muss der Verkehrsminister zunächst noch eine Gesetzesänderung durch den Landtag bringen. Drücken wir die Daumen, dass das klappt und dass die Koalition steht. An den zusätzlichen Verkehren, die wir mit den neuen Zügen fahren wollen, beteiligt sich das Land ebenfalls finanziell mit einer weiteren Erhöhung des Anteils an Regionalisierungsmitteln.
Um die Maßnahmen umsetzen zu können muss außerdem der Verkehrsvertrag mit DB Regio um 4 Jahre verlängert werden, weil wir andernfalls mitten in der Umsetzung in das Ausschreibungsverfahren für einen neuen S-Bahn-Betreiber einsteigen müssten. Da die ETCS - Technik ja auch in Zukunft Bestand haben soll, muss sie zunächst abgenommen eingeführt und sein, bevor sie als Systemkomponente für die neue Ausschreibung herangezogen werden kann.
DB Regio kommt uns als Betreiberin der S-Bahn entgegen. Zum Beispiel muss die Region die zusätzlichen Verkehre von 1 Mio. Zugkilometer nur für den Preis des Grundentgelts bezahlen und dennoch werden die Mehreinnahmen der Region zugeschieden. DB Regio übernimmt neben dem Kauf von zwei eigenen, die Finanzierung von 9 weiteren Fahrzeugen und rüstet alle insgesamt 215 S-Bahnen mit ETCS aus. Außerdem unterzieht sie die komplette S-Bahn-Flotte einer Qualitätsverbesserung.
Auch, wenn wir mit der Förderung von Bund und Land rechnen und mit DB Regio gute Vereinbarungen getroffen haben, ist das geschnürte Paket ein dicker finanzieller Brocken von mehr als 400 Mio. €. Wir werden eine zukünftige zusätzliche Belastung von jährlich 11-12 Mio. € mehr schultern müssen.
Und „wir“ meint natürlich alle Gebietskörperschaften in der Region: Landkreise, Stadt Stuttgart und alle Kommunen. Wir sind deshalb dankbar, dass auch hier die Erkenntnis herrscht, dass wir diese Maßnahmen zur Kapazitätserweiterung in Angriff nehmen und umsetzen müssen. Nicht zuletzt war das ja auch eine Bedingung und logische Konsequenz aus der Entscheidung zur Tarifzonenreform. Von einem gesamthaft attraktiven Nahverkehr profitiert am Ende jede einzelne Kommune.
Um da hinzukommen, wo wir heute stehen war es ein langer Weg. Auch wenn es am Ende dank des enormen Einsatzes von Herrn Dr. Wurmthaler rasend schnell gegangen ist. Herr Dr. Wurmthaler unsere Fraktion dankt Ihnen sehr für Ihre kompetente, zielorientierte und letztlich erfolgreiche Vorbereitung des heutigen Beschlusses.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir freuen uns übrigens auch über eine ganz andere Erkenntnis. Diese Weichenstellung heute konnte nur getroffen werden, weil inzwischen offensichtlich ist, was die meisten von Ihnen lange nicht wahrhaben wollten: Mit Stuttgart 21 werden bei Weitem nicht die Verkehrsprobleme der Region gelöst. Es hat viel Zeit gekostet, bis diese Erkenntnis gereift ist, so dass die Entscheidung heute auch fast in letzter Minute getroffen wird. Aber - „besser spät als nie“: Wir Grünen freuen uns umso mehr über den Sinneswandel.
Damit zeigt sich heute seit langem auch endlich mal wieder, dass es den Verband Region Stuttgart braucht, um gute Lösungen für die ganze Region zu schaffen. Wir können viel erreichen, wenn wir uns gemeinsam für den Öffentlichen Nahverkehr, für unsere S-Bahn einsetzen. Und wir können viel erreichen, wenn wir überzeugende Ideen und stichhaltige Argumente haben. Heute zeigen wir wie nachhaltiger, umweltfreundlicher Verkehr in einem dichten Ballungsraum im Hightechländle funktioniert.
Wir, die Grüne Fraktion, wünschen uns allen, dass wir die weiteren Schritte kraftvoll gehen und stimmen dem Beschlussvorschlag zu.