Rede von Ingrid Grischtschenko Regionalversammlung 14.03.2012

5 Jahre Neue Messe

Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren,

Herr Vorsitzender, Herr Kromer meine Damen und Herren,

wenn der Tagesordnungspunkt der gegenseitigen Beweihräucherung dienen soll (wie ich bis jetzt den Eindruck habe), müssen wir jetzt aufhören – wenn der TOP Bilanz ziehen soll, ob die Verlagerung einer Messe ein Erfolgsfaktor sein kann, mach ich jetzt weiter: 

Seit der Eröffnung im Oktober 2007 liegen nun vier volle Geschäftsjahre vor, zwei „starke“ gerade Jahre (2008 und 2010) und zwei „schwächere“ ungerade Jahre (2009 und 2011):

Vergangenes Jahr wurde mit einem Geschäftsergebnis von rd. 1.Million Euro bei etwas über 1 Million Besucher dann ein Euro Gewinn gemacht pro Person. Das Jahr davor war der Ertrag dreimal höher, was bei einer ungefähr gleichen Besucherzahl den Gewinn pro Person dann ebenfalls auf drei Euro verdreifacht.

Bis heute sind die Besucherzahlen vom Killesberg nicht erreicht. Ein Argument für die Verlagerung war gewesen, dass gerade bei den Publikumsmessen die Hallen aus allen Nähten platzten. Die heutige Vorlage übergeht dies diskret und mischt ein paar Flughafendaten dazu. Weder wird die Beschäftigtenzahl (300?) genannt, noch die Zahl der Ausstellungstage (150?), noch der sog. Hallenumschlagfaktor (13 in 2011 und 14 in 2010). Schon dem Erfinder des Messegesetzes (RA Dolde) war klar, dass die Landesmesse nie einen Gewinn erwirtschaften würde und nie aus eigener Kraft den Schuldendienst würde leisten können. Im Beteiligungsbericht des Verbandes wird von „dauerhaft defizitär“ ausgegangen.

Die 814 Millionen Euro für die Investition kamen als Kredite von verschuldeten öffentlichen Händen, der VRS war mehrheitlich bereit über vier Jahre eine extra Messe-Umlage über 50 Millionen Euro zu erheben. Zudem hatte er bereitwillig seinen Regionalplan geändert, und das Land hatte ein Messegesetz gemacht, weil die Kommune, auf deren Markung sich das ganze abspielte, kein Baurecht schaffen wollte. Der Grunderwerb am Flughafen startete noch bevor der angeblich ergebnisoffene Suchlauf nach einem neuen Messeplatz überhaupt begonnen wurde.

Der Verband Region Stuttgart konnte die Ausweisung dieses Standortes im Regionalplan zwei Mal gegen die Klagen der Stadt Leinfelden-Echterdingen verteidigen: vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim im Winter 2001 und vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im Frühjahr 2003. 

"Erstmalig in Deutschland wurde damit eine wirtschaftliche Großinfrastruktur durch einen Regionalplan raumordnerisch umgesetzt", freute sich damals die Region.

Die Regionalgrünen unterschieden zwischen dem planungsrechtlichen Kompetenzzuwachs, den wir befürworteten und der Ablehnung des Standortes (ähnlich wie bei der Biogasanlage: Im Grundsatz ja, aber nicht an diesem Standort!)

Verbesserungsvorschläge während der Bauzeit, wie z.B. der Vorschlag von uns, die ästhetischen Hallendächer auch energetisch zu nutzen, wurden zunächst abgelehnt um sie dann später doch umzusetzen. Die PV-Anlage senkt heute die Energiekosten und spart damit Betriebskosten.

Einig war man sich in der Region, nicht in eine Betreibergesellschaft zu gehen. Die inhaltliche Zusammenarbeit und Mitsprache findet heute über die Wirtschaftsförderung der Region statt und läuft gut (Neuproduktebeirat).

Die Stadt Leinfelden-Echterdingen sucht heute ihren Weg zwischen Flughafenstadt, Kraut und Messe. Das Tor zur Welt, das Gateway, ist so nah, und so laut, dass noch eine Fußwegeerschließung geplant wird und ein Lärmminderungsplan zusammen mit dem Flughafen umgesetzt werden muss. Die Hotels sind gekommen, die Bordelle auch. Die Übernachtungszahlen haben sich verdoppelt, die Einpendler kommen aus der ganzen Region - über Umwege scheint sich die Messe zu rentieren. Die Ironie der Geschichte: von Leinfelden aus kann man seit letztem Jahr mit der U5 umsteigefrei zum Killesberg fahren.

Dem Gemüsegarten der Region, der Filderebene fehlen 100 Hektar. Auf jedem Kreisbauerntag wird beklagt, dass die landwirtschaftlichen Betriebe nicht mehr expandieren können und dass diese Jungunternehmer keine Planungssicherheit haben.

Die Kfz-Verkehrsfläche mit Parkhäusern, ebenerdigen Stellplätzen, interner Verkehrserschließung, als „Freiflächen“ ausgewiesene Stellplätze und Lkw-Service-Flächen  ist dreimal größer als die eigentliche Ausstellungsfläche (10ha). Mit dem ruhenden Verkehr ist am meisten Geld verdient. Messe und Flughafen kooperieren bei den Parkierungsanlagen. Regelmäßig geraten Fluggäste in Rage, die nach einem Billigflug ihr teures Parkticket zahlen müssen. LE rettet sich mit Anwohnerparken vor der Flut derer, die in den Ortschaften parken und das letzte Stück mit der S-Bahn fahren. An Messetagen übernimmt der ÖPNV den Hauptteil, es werden längere S-Bahnen öfters eingesetzt werden und Schnellbusse fahren zusätzlich. Die wenigsten Messegäste kommen oder gehen mit dem Flugzeug. Diese Synergie ist konstruiert.

Unabhängig vom Standort löst eine Messe das 5-7fache ihres eigenen Umsatzes im Umfeld aus. Egal, wo sich der Platz befindet, alle Messen müssen auf- und wieder abgebaut werden, alle Aussteller und Besucher müssen irgendwie hin- und wieder wegkommen und irgendwo übernachten und essen. Die neue Messe deshalb als lokale Anschubfinanzierung zu sehen, damit auf Umwegen ein Vielfaches von ihrem Umsatz ausgelöst wird, ist kurzsichtig. Von einer volkswirtschaftlichen Warte aus betrachtet, müssen die Schäden, die ebenso auf Umwegen an zum Teil aufgelassenen Standorten entstehen (z.B. Sinsheim), gegengerechnet werden. (Landesmesse/Regionalmessen)

Die allgemeine Rechtfertigung hieß und heißt „Umwegerentabilität“ - mit dieser Begründung wird jede Kindertagestätte eine rentierliche Einrichtung und jede Abmangelfinanzierung wird zum Wirtschaftsinvest. Ein über Schulden finanzierter Invest kann sich nicht lohnen. Die Kosten sind so immens, dass sie den Nutzen auffressen. Selbst wenn man die Spielbank in Möhringen zum Gateway hinzurechnet, dauert der Abtrag Jahrzehnte. Dort schöpft das Land den Bruttospielertrag ab: 34 Mio. Euro in 2011.

Die Vorlage zieht das Fazit, dass auch ein Bahnhof ein Standortfaktor sei. Er ist es auch überall, auch in Wendlingen oder Stuttgart-Vaihingen! Und wenn ein zusätzlicher Bahnhof auf den Fildern den Ruf nach einer 2.Startbahn wieder lauter werden lässt, wäre das kontraproduktiv.

Unser Fazit:

Dem Verband Region Stuttgart wurde anfangs unterstellt, er wäre genau dazu gegründet worden, Großprojekte durchzusetzen, die sonst an der kommunalen Kleinstaaterei gescheitert wären – er versucht das durch beharrliche Arbeit bei der Regionalplanung, beim Landschaftspark und bei seiner Hauptaufgabe der S-Bahn, zu entkräften.

Wir sollten deshalb aufpassen, wir sollten alle aufpassen, dass der Verband bei Infrastrukturprojekten nicht benutzt wird, nicht instrumentalisiert wird - und fallen gelassen wird, wenn er seine Schuldigkeit getan hat und die Umlage eingezogen ist. Wir sollten ganz genau überlegen, wofür wir eine Extra-Umlage erheben und wie es wirkt. Und wenn es der eigentlichen Aufgabenstellung zuwiderläuft, auch mal bleiben lassen.

Danke.