Rede von Ingrid Grischtschenko Regionalversammlung 20.07.2016

Wohnflächenentwicklung in der Region

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

Es geht um die Flächen für den Wohnbau. Die Diskussionen darüber drehen sich im Planungsausschuss regelmäßig im Kreis: Können die Gemeinden mit den regionalen Vorgaben leben, können sie ihren Bauwilligen vor Ort noch Bauplätze anbieten und haben sie noch Spielraum um ihren Pflichten bei der Unterbringung von Flüchtlingen und Obdachlosen nachzukommen.


Vier Wochen vor einem Wohnbaugipfel wird Stimmung gegen den Regionalplan gemacht, was dann auf der Fachtagung und von der Verwaltung zurecht gerückt und entkräftet wird, nur um eine Woche nach dem Gipfel wieder die gleichen Vorwürfe zu hören.


Dabei bestätigt sich in jeder Ausschusssitzung: Die Ziele des Regionalplans können für jede Kommune passgenau gemacht werden und engen nur dann ein, wenn das grüne Netz der Freiräume nicht gleich mitgedacht und berücksichtigt wird. Die allermeisten Kommunen machen das und selbst was die Bruttowohndichte betrifft, kommt eine Auswertung der Stellungnahmen der letzten Jahre zum Ergebnis, dass 87% mit den Vorgaben des Regionalplans klar kommen.


Fakten aus dem Regionalplan statt Stimmungsmache gegen den Regionalplan 
Jede Kommune darf aus sich heraus wachsen. Kommunen an der Schiene, dürfen noch ein bisschen mehr wachsen. Sie dürfen bei steigenden Einwohnerzahlen oder örtlichen Besonderheiten Flächen ausweisen. Kommunen tun gut daran, nicht nur an den Rändern zu wachsen sondern auch ihre Ortskerne im Blick zu behalten. Von der Innenentwicklung haben alle etwas: Die Eingesessenen, der Einzelhandel und die Neuzugezogenen.

Durch die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union braucht es rechnerische Größen, mit denen Kommunen und Region arbeiten können. Nicht alle, die in einer Gemeinde geboren werden, bleiben dort und bauen neu oder beziehen ihre Elternhäuser. Viele wandern ab, andere ziehen zu, egal ob aus Osnabrück, Schmalkalden oder Aleppo. Jede Kommune darf ihre „Bauherrengeneration“ oder Investoren mit Flächen versorgen, was üblicherweise im Flächennutzungsplan auch geschieht.


Der Regionalplan war nie auf Schrumpfung ausgelegt. Er atmet ja angeblich. Uns Grünen war das immer suspekt, weil wir nicht wussten, wo er ausatmet, wo er Luft ablässt. Uns erschienen die 41 Wohnungsbauschwerpunkte bei der Aufstellung des derzeit gültigen Regionalplans vor rd. 10 Jahren als zu üppig. Das war uns zu viel Einatmen und Aufblähen. Die Einwohnerprognosen gingen Richtung Rückgang, der Region Stuttgart wurde bestenfalls eine Stagnation durch erhöhte Zuwanderung vorausgesagt.
Ich bringe das in Erinnerung, weil etwas Unvorhergesehenes eingetreten ist, dem wir jetzt alle in großer Verantwortung Rechnung tragen wollen: Nach den Landkreisen müssen nun die Kommunen für die Anschlussunterbringung der Flüchtlinge sorgen. Die Frage ist nun: Auf welchen Flächen soll das stattfinden?

Die Flächenreserven reichen
Einigkeit besteht darin: Keine Banlieues wie in Frankreich, niemand will diese Trabantenstädte und niemand ist so blauäugig und meint alle Zuwanderung im Bestand unterbringen zu können. Das heißt:
Manche Kommunen gehen mit der Anschlussunterbringung auf Gelände, das nicht für Bebauung vorgesehen war, aber in städtischer Hand ist. Manches Gebäude für Anschlussunterbringung füllt eine Lücke, manches bekommt eine Türöffnerfunktion für weitere Gebäude. In den allermeisten Fällen kann auf Flächen im FNP zurückgegriffen werden.


Zählt man den Großteil dieser bereits ausgewiesenen Flächen zusammen, ergibt sich folgendes Bild: Die großen Flicken >5 ha ergeben in Summe über  2 000 Hektar. Und die Verteilung? Wo liegen die? Rund 1 000 ha entlang der Schienenachsen und in den Wohnungsbauschwerpunkten (400ha); und rund 1 000 ha außerhalb der Achsen. Die kleineren Flächen auch der kleineren Gemeinden sind noch gar nicht mitgerechnet und die innen liegenden Flächen in den Ortskernen auch nicht.


Es hat in der Region Stuttgart locker Platz für 150 000 Menschen. Neue, zuziehende Fachkräfte haben einen neuen Wohnbedarf, zusätzlich zu denen, die in Rente gehen. Aber die Flächenreserven passen dazu.
Also: Bebauungspläne entwickeln, Grundstückseigentümer und Bürger beteiligen, Gemeinderatsbeschlüsse herbeiführen und nicht die Hemmnisse bei der Region suchen. Es hat den Anschein, dass auch kommunale Selbstverwaltung schwergängig sein kann.


Gelingt es einer Kommune Wohnungen im Bestand zu finden, diese zu renovieren, vielleicht sogar selbst anzumieten, spart sie sich den Neubau. Gelingt es einer Kommune selbst oder mit Bauträgern in den Geschosswohnungsbau einzusteigen ist das ein guter Ansatz um Fläche und Geld zu sparen. Erst verdichtetes Bauen schafft bezahlbaren Wohnraum und darum geht es ja!

Zuwanderung der Flüchtlinge befördert den sozialen Wohnungsbau
Die Zuwanderung der Flüchtlinge und ihre Anschlussunterbringung in den Kommunen haben insofern dazu geführt, dass auch geförderter Wohnungsbau wieder ein Thema ist. Sie sind der Auslöser für die Behebung eines oft in Vergessenheit geratenen Missstandes: Kaum noch entstand öffentlich geförderter Wohnraum, im Gegenteil, immer mehr geförderte Wohnungen fallen aus der Sozialbindung. Die Wiederauflage von Wohnbauprogrammen bei Bund und Land sorgt auch dafür, dass Obdachlose, für deren Unterbringung die Kommune ebenfalls zuständig ist, nicht ins Hintertreffen geraten. Und es sorgt auch dafür, dass all jene, die auf preisgünstigen Wohnraum angewiesen sind, wieder eine Perspektive haben, ihn auch zu bekommen. Denn auch darum geht es: SteuerzahlerInnen Wohnen und Arbeiten so zu ermöglichen, dass sie auch noch leben können. Also nicht nur Dach über dem Kopf, sondern Umfeld, Nachbarschaft, Teilhabe, Engagement!


Für gute Verdichtung muss mit Beispielen geworben werden. Es gibt sie schon längst. Bezahlbare Mehrfamilienhäuser gibt es in Kommunen jeder Größe. Aus der Angst vor einem sozialen Brennpunkt, kann die Chance auf neues soziales Miteinander werden.


Eine behutsame Innenverdichtung führt zur Auslastung bestehende Infrastruktur und braucht oft keine zusätzlichen Ausgleichsflächen. Das macht sie finanziell günstiger und kann den höheren Zeitaufwand bei der Entwicklung wettmachen.


Dichtere Bebauung z.B. in den Wohnungsbauschwerpunkten schafft gleichzeitig Freiraum. Sie erhält ihn, weil sie die Siedlung bündelt und in die dritte Dimension geht. Insofern kann es einen Bezug zum LandschaftsPark geben. Grünstrukturen können sich durchaus in Höfe und Anlagen ziehen. Aber Vorsicht, wir müssen das Netz der Freiflächen denken, und nicht die einzelne Rutsche auf rosa Rindenmulch .
Fehler bei der Siedlungsentwicklung holen uns bei der Verkehrsplanung wieder ein – genauso die Fehler bei der Versiegelung von Flächen, die uns nachher als Hochwasser in den Kellern und Garagen stehen.
Die Idee 2/4 Kommunen modellhaft zu begleiten halten wir für gut. Das haben die Grünen in der Region 2008 in einem Antrag vorgeschlagen, mit dem Focus bei der Innenentwicklung zu helfen. Heute geht es immer noch um Innenentwicklung, aber auch um Außenbereich und generell um Beispiele für Handlungsimpulse.


Wir brauchen nicht im Vorgriff großzügig zu sein. Das ist nicht notwendig. Es muss keine Not gewendet werden. Es gibt sie nicht. Diejenigen, die sie vor Ort heraufbeschwören, können sie eigenmächtig lindern.
Falls der Vorschlag der Freien Wählen zur Regionalplanänderung  jetzt gleich kommt: Wir Grünen sehen keine Veranlassung ihn aufzugreifen. Dem Beschlussvorschlag der Verwaltung werden wir zustimmen und das weitere Vorgehen unterstützen.