Rede von Mark Breitenbücher Regionalversammlung 30.03.2011

Fortschreibung des Regionalverkehrsplanes

Sehr geehrter Herr Präsident, Frau Direktorin,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

Wir sind aufgerufen, einen Regionalverkehrsplan in einer Zeit des Umbruchs zu erstellen. Die wesentlichen Megatrends sind                                                      Der Klimawandel und die Notwendigkeit, diesem entgegen zu steuern.
Der Wunsch nach weniger Lärm- und Schadstoffemissionen
Der demographische Wandel: Wir werden Weniger und Älter.
Aber wohl am wichtigsten: Die steigenden Energiepreise bei immer knapper werdenden Ölreserven. Durch den dringend notwendigen Atomausstieg wird dieser Trend noch verstärkt.
In der Folge verlieren immer mehr Menschen die emotionale Bindung zum Auto. In Paris hat man festgestellt, dass es bei den jungen Menschen inzwischen als Hip gilt, kein Auto mehr zu besitzen. Eine Studie des Center of Automotive Management hat herausgefunden: Während in Deutschland bei den 18-29 jährigen im Jahre 2000 noch 518 von 1000 jungen Männern ein Auto hatten, sind es im Jahre 2010 bereits nur noch 344. Dieser Altersgruppe fällt es leichter, auf ihr Auto als auf ihr Handy zu verzichten. Immer wichtiger für den Lebensstil junger Menschen wird dabei die multimodale Mobilitätskette, das heißt die intelligente Vernetzung der verschiedenen Verkehrsarten.

Gleichzeitig wird es für die ältere Generation immer wichtiger, sich wohnortnah zu versorgen und auch ohne Auto mobil zu sein.
Mit der Festlegung konkreter Ziele für die Verlagerung von Güterverkehr von der Straße auf die Schiene, bringt die Europäische Union in diesen Tagen zusätzlichen Rückenwind für die ökologische Modernisierung unserer Mobilität.

Zu den Zielen des RVP:
Hier muss ich der Verwaltung für die Vorlage ein großes Lob aussprechen. Die wesentlichen Megatrends und Grobziele, die im Regionalverkehrsplan (RVP) zu berücksichtigen sind, hätten auch wir Grünen nicht besser auflisten können.

Ökologisch verträglich, wirtschaftlich tragbar und sozial gerecht soll der Verkehr in der Region Stuttgart werden. Schaut man sich die Realität an, sieht man, dass wir hier noch einen weiten Weg vor uns haben.

Zum Status Quo:
Sie alle kennen die Meldungen aus den Zeitungen: "Schlaglöcher reißen Haushaltslöcher", "Aktionsplan bremst Feinstaub nicht aus", "Tarife für Bus und Bahn werden ab Januar teurer".

1. Der Verkehr in der Region Stuttgart ist nicht ökologisch verträglich. Wir sind deutschlandweit Spitze beim CO2-Ausstoß pro Kopf. Was die Themen Lärm, Feinstaub- und Stickoxidbelastung durch den Verkehr angeht: hier verstoßen viele Gemeinden in der Region gegen europäische Richtlinien. Das Aufstellen von Minderungsplänen stellt die Regierungspräsidien und Kommunen vor fast unlösbare Aufgaben.

2. Der Verkehr in der Region Stuttgart ist nicht wirtschaftlich tragbar. Viel zu viel wertvolle Zeit verbringen die Bürger in der Region im Stau, die öffentlichen Haushalte können die Instandhaltung der enormen Straßenflächen in der Region schon seit langem nicht mehr tragen und mit jeder Straße die gebaut wird, verstärkt sich dieses Problem noch.

3. Der Verkehr in der Region Stuttgart ist nicht sozial gerecht. Wir haben im VVS im nationalen Vergleich mit die höchsten Preise für den öffentlichen Personennahverkehr bei suboptimaler Versorgung. Die Infrastruktur wurde einseitig zu sehr auf den motorisierten Individualverkehr ausgerichtet. Viele Menschen sind immer noch auf das Auto angewiesen. Die steigenden Energiepreise, besonders beim Öl, machen das Autofahren immer teurer. Damit wird auch die Teilhabe am Verkehr und damit am öffentlichen Leben für die sozial Schwachen immer schwieriger. Gleichzeitig sind diese von den negativen Gesundheitsauswirkungen des MIV am stärksten betroffen: Würde man eine Lärmemissionskarte und eine Karte der Wohnorte von Harz IV-Empfängern übereinander legen, würde man wohl verblüffende Übereinstimmungen feststellen.

Nun fragt man sich natürlich: Warum ist das so?
Historisch gesehen ist das verständlich: Gerade die Region Stuttgart verdankt ihren wirtschaftlichen Aufstieg dem Automobil wie kaum eine andere Region weltweit obgleich der Automobilbau an Bedeutung für den Arbeitsmarkt verliert.

Ein Grund ist aber auch der aktuell gültige Regionalverkehrsplan von 2001, der zum großen Teil noch auf Verkehrszahlen und Prognosen von 1995 basiert. Wenn man sich die Ist-Zahlen der elektronischen Verkehrszählstellen in der Region anschaut, sieht man schnell, dass die Prognosen für den MIV stark überzogen waren. In der Folge wurden die Straßen in der Region massiv ausgebaut bei gleichzeitiger Vernachlässigung des öffentlichen Verkehrs. Ziel war eine hohe Erreichbarkeits- und Anbindungsqualität. Die Folge: hohe Umweltbelastung, Flächenfraß, viel Stau und kaum bezahlbare Infrastruktur. Am deutlichsten wird dies wenn man sich den Ausbau der Bundesstraßen entlang der S-Bahn-Achsen anschaut. Durch solche Parallelstrukturen wird sehr viel Geld für Straßeninfrastruktur verschwendet. Gleichzeitig entzieht man damit dem ÖV-System viele Kunden, was uns als Aufgabenträger vor neue Probleme stellt.

Gut gemeint ist auch hier (wie so oft) das Gegenteil von Gut gemacht. Dass es auch anders geht, zeigt die Region Zürich. Dort wurde bereits vor 32 Jahren im Konsens mit allen Fraktionen beschlossen, dem Öffentlichen Verkehr generell Vorrang vor dem MIV zu gewähren. In Folge dessen werden Straßenkapazitäten nicht mehr, und das ÖV-Netz statt dessen umso konsequenter ausgebaut. Warum dies für einen Ballungsraum überlebensnotwendig ist, zeigt schon ein Blick auf den Flächenverbrauch: Während ein Autofahrer durchschnittlich 115 qm für die Fortbewegung benötigt, verbraucht der Umweltverbund weniger als 10 qm.

Das Ergebnis kennen wir:
Die Menschen in der Region Stuttgart stehen mit Autos, deren Unterhalt sie sich immer weniger leisten können, im Stau oder pendeln zu überteuerten Preisen in einem mäßig vernetzten öffentlichen Nahverkehr. Unterdessen kann der Züricher auf einen exzellent ausgebauten, vernetzten und kostengünstigen Nahverkehr zugreifen, der unter anderem durch die hohe Nutzungsdichte, ergänzt durch ein gut funktionierendes Leihsystem für Autos und Fahrräder, auch für den Aufgabenträger leichter zu finanzieren ist.

Zum Verfahren
1. Frühzeitig Erkenntnisse nutzen
Wichtig ist, dass die Erkenntnisse aus dem Erarbeitungsprozess (z.B. die neuen Verkehrszahlen) schnellstmöglich in die bereits in der Planung und im Bau befindlichen Projekte einfließen. Insbesondere wegen der zu hoch angesetzten Prognosen aus der Vergangenheit müssen aktuell laufende Straßenbauprojekte kritisch überprüft werden.

2. Prognose-Nullfall als Variable in den Prozess einbauen
Wie dargestellt, sind die Mobilitätsbedürfnisse und die Wertevorstellungen der Menschen aktuell stark im Umbruch. Hinzu kommen die Auswirkungen des demographischen Wandels. Die Stagnation der PKW-Zahlen aus den automatischen Verkehrszählungen in der Region Stuttgart seit der Jahrtausendwende zeigen: Der Pillenknick ist endgültig auf der Straße angekommen.
Der Prognose-Nullfall selbst ist also stark im Wandel. Deshalb schlagen wir vor, im nun anlaufenden Prozess die Ziele und Maßnahmen, wo möglich, variabel zu diesem Parameter zu definieren bzw. die beschriebenen Trends bei der Erstellung desselben hinreichend zu berücksichtigen.

3. Bürgerbeteiligung
Hier wird es darauf ankommen, die Prozesse so interessant bzw. einladend zu gestalten, dass sich die Menschen tatsächlich beteiligen. Schließlich ist der Regionalverkehrsplan eine abstrakte Angelegenheit.

4. und letztens sollten wir uns zügig Gedanke darüber machen, wie die 7 Millionen Euro für die nachhaltige Modellregion Stuttgart sinnvoll eingesetzt werden können.

Zusammenfassend:
Wir Grünen hoffen, dass wir zügig die formulierten Ziele als interfraktionellen Grundkonsens bestätigen und konkretisieren können. Bei knapper werdenden Mitteln haben wir einen enormen Nachholbedarf beim ÖV-Anteil im Modal Split und müssen darauf achten, dass die Region Stuttgart im Wettbewerb mit anderen Ballungsräumen um ein ökologisch verträgliches, wirtschaftlich tragbares und sozial gerechtes Verkehrssystem nicht weiter zurückfällt. Teure Parallelinvestitionen und Investitionen in unrentable Verkehrsvorhaben können wir uns deshalb nicht mehr leisten!
Statt dessen muss der ÖV bei gleichzeitiger Stärkung der multimodalen Mobilitätskette Vorrang vor dem Ausbau von Straßen haben.
Es liegt jetzt an uns allen, daraus konkrete Maßnahmen für den Regionalverkehrsplan abzuleiten.

Wir freuen uns auf eine Diskussion ohne ideologische Scheuklappen!

Packen wirs an!