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Reden

Herstellung Gleichwertiger Lebensverhältnisse

Rede von Dorothee Kraus-Prause Regionalversammlung 3. April 2019

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, Frau Dr. Schelling, werte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,


Bad Boll am Fuße der Schwäbischen Alb, Eigenentwicklergemeinde mit etwas mehr als 5000 Einwohnern, mit Jugendhaus, Bücherei, Freibad, 4 Ärzten und Geschäften im Ortskern. Möglich durch einen der zitierten hidden champions, der mit seiner Naturkosmetik auf dem Weltmarkt unterwegs ist. Szenenwechsel: Der Sohn unserer Nachbarn, junger Akademiker, wohnt nach einem halben Jahr Suche in Heslach in einer Dachgeschosswohnung, 26 qm für knapp 700€, Kochgelegenheit im Flur, kein Balkon. Die klassischen Zuordnungen vom unterentwickelten ländlichen Raum und den Städten, in denen es sich gut leben lässt, sind nicht mehr passgenau.

Vorneweg: Wir stimmen dem Beschlussvorschlag zu, weil wir die Auseinandersetzung mit dem Thema für wichtig halten. Warum wir die genannten Ziele in der Vorlage teilweise ablehnen, dazu komme ich noch. 

Verdichtungsräume müssen in den Blick genommen werden und wenn der § 13 b schon fortgeschrieben wird, dann hat er in den Städten eine Funktion. Dass kleine Gemeinden fernab der Verkehrsachsen ihre Flächennutzungspläne beiseitelegen und mit diesem Paragrafen munter neue Einfamilienhausquartiere ausweisen, kann nicht Ziel unserer Regionalplanung sein. Auch Genehmigungsbehörden müssen so ausgestattet sein, dass sinnvolle Planungen schneller umzusetzen sind.   

Den Austausch in der Arbeitsgemeinschaft der Regionalverbände oder mit anderen Regionen bei Metrex halten wir für überlebenswichtig. Wir brauchen neue Strategien und Modelle für klimaneutrale, ressourcenarme, lebenswerte Städte.

Bis 2050 werden 70% der Menschen in Städten leben, so die Prognosen. Bereits heute leiden Bewohnerinnen und Bewohner unter dem „Dichtestress“.  Sie haben Wachstumsschmerzen. Diese treten auf, wenn das Knochenwachstum zu schnell geht und nicht mit dem inneren Wachstum Schritt hält. Sie hören auf, wenn das organische Gleichgewicht wiederhergestellt ist. Vorgeschlagen werden eine Reihe von Folgerungen zur Genesung: zusätzliche Flächeninanspruchnahme für Siedlung und verkehrliche Infrastruktur, auch Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung, eine bessere Kommunikationsinfrastruktur, wirksamer Freiraumschutz und der Erhalt der Kulturlandschaft. Es liest sich wie eine to-do-Liste, als ob man alles gleichzeitig realisieren und harmonisch miteinander verbinden könnte.

Daran scheinen aber immer weniger Menschen zu glauben. Ihre Erfahrung vom Dichtestress führt zu einer schwindenden Akzeptanz im Blick auf weiteres Wachstum -im Sinne von mehr Flächen für Wohnen und Gewerbe, mehr Straßen, mehr Versiegelung - eigentlich verständlich. Das erleben wir aktuell auch auf den Fildern. Diese Skepsis abzutun, als seien das alles diejenigen, die versorgt sind mit Arbeit und Wohnung und sich deshalb nicht zukünftigen Herausforderungen stellen wollen, halten wir für kurzsichtig. Sind es wirklich nur einige, die auf die Grenzen des Wachstums hinweisen, die gutes Leben in der Region anders definieren? Die Heilung der Wachstumsschmerzen gelingt, wenn wir uns den Zielkonflikten jetzt stellen. Dass wir dieses Wachstum brauchen, um den hohen Wohlstand für alle zu erhalten, ist nur die halbe Wahrheit, denn es profitieren nur einige, auch bei uns gibt es Disparitäten und immer mehr Kinder, die in Armut aufwachsen. Wohlstand wird nur ökonomisch und als materieller Konsum gesehen. Was bedeuten eigentlich gleichwertige Lebensverhältnisse innerhalb unserer Verdichtungsräume?  Wir brauchen positive Bilder von einem anderen urbanen Leben mit mehr Teilhabe und sozialer Kohäsion. Wie gelingt eine resiliente Stadt, die sich trotz aller externen Herausforderungen selbst erhalten kann, die ihre Energie-, Mobilitäts- und Versorgungskonzepte so konzipiert, dass Klimaschutz gelingt und Lebensqualität gesteigert wird? Ein Beispiel: Wir alle wissen, wir brauchen andere Autos, aber einfach die Antriebe auszutauschen und die gleiche Flotte elektrisch zu fahren, ist keine Lösung. Es müssen auch weniger werden. Und weniger Autos machen Flächen frei fürs Wohnen, für die Erholung, auf Parkplätzen entstehen Gewerbebauten. Natürlich müssen wir dabei auch über die Arbeitsplätze sprechen. Und wir setzen darauf, dass verdichtetes, erschwingliches Bauen, ökologisch, durchgrünt, so attraktiv wird, dass bald niemand mehr 46 qm für sich allein haben will.

An dieser Stelle freuen wir uns sehr auf die IBA und ihre vielfältigen Projekte und Anregungen, vielleicht schon Antworten, Herr Hofer.

Sie erinnern sich an den Leitbildprozess:
„Wir nutzen unsere vielfältigen Chancen, um zukünftigen Generationen eigene Gestaltungsspielräume zu erhalten. Wir trauen uns, dazu unbekannte und unbequeme Wege zu gehen. Als Modellregion für nachhaltiges Handeln sind wir Impulsgeberin und treten ein für gerechte soziale Verhältnisse.“

Wir Grünen stehen dazu, auch zu den unbequemen Wegen. Das bedeutet aber umsteuern, wenn wir unsere Städte zukunftstauglich machen wollen. Ein Wachstum – im Sinne des weiter so – verschärft die Situation und ist keine Lösung. Wir stehen für ein Wachstum an Qualität. Ziel muss die innovative, klimaneutrale, ressourcenschonende und deshalb lebenswerte Stadt sein. Dazu braucht es Klugheit und Mut der Entscheidungsträger, eine engagierte Zivilgesellschaft und für zukunftsfähige Projekte auch die entsprechende Unterstützung.