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Reden

Regionalversammlung 21.10.2020 Rede zum Haushaltsentwurf 2021

Es gilt Verantwortung zu übernehmen für die Herausforderungen unserer Zeit. Für die unmittelbaren Herausforderungen der Corona-Krise, aber auch für die abstrakten Bedrohungen des Klimawandels für unsere Region.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Frau Regionaldirektorin,
liebe Kolleginnen und Kollegen in der Regionalversammlung,

dieses Jahr und auch ganz aktuell diese Tage sind geprägt von der Corona-Pandemie. Mittlerweile überschreiten alle Landkreise und die Landeshauptstadt den Wert von 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Damit ist die Region Stuttgart nun Krisengebiet.

Wir sind in einer Krise, die unser Gesundheitssystem herausfordert und die uns die Probleme und Grenzen unseres Wirtschaftssystems
deutlich vor Augen führt. In unserer globalisierten Welt, in der Nachhaltigkeit immer noch als Luxus und nicht als Notwendigkeit betrachtet wird, reicht ein Virus aus, um die Weltwirtschaft lahmzulegen.

Eine Krise bedeutet aber immer auch Veränderung:
In kürzester Zeit mussten wir die Weise wie wir Arbeiten, Leben und Wirtschaften radikal verändern. Vokabeln wie Homeschooling, Videokonferenzen und systemrelevant haben den Weg in unseren Alltag gefunden.

Dabei zeigte sich, Krisen können immer auch eine Chance sein:
Die Corona-Krise brachte einen enormen Schub in Sachen Digitalisierung. Das wird uns immer erhalten bleiben.
Gleichzeitig sollten wir diese Krise nutzen – nutzen als Beschleuniger einer Entwicklung hin zu einem nachhaltigeren Wirtschaften.

Denn, die Corona Krise wird vorbei gehen. Die andere Krise, die Klimakrise, wird mich und meine Generation noch mein Leben lang begleiten. Neulich habe ich meinen ersten Rentenbescheid bekommen. 2060 stand da drauf. Ab 2060 kann ich in Rente gehen. Wie wird die Welt dann aussehen? Das Wissenschaftsmagazin Nature schreibt, dass ab 2060 extreme Dürren, lebensbedrohliche Hitzewellen, verheerende Starkregen samt großflächiger Überschwemmungen sowie monströse Waldbrände nach den aktuellen Modellen meinen Alltag prägen werden.
Gleichzeitig hörte ich hier in den Ausschüssen der Regionalversammlung immer wieder die Appelle „Inne zu halten“. Abzuwarten. Wir sollten jetzt „eine Pause machen“. Der Klimawandel macht keine Pause. Es reicht nicht abzuwarten.

Die Europäische Kommission hat das erkannt: 40% CO2 Reduktion bis 2030 reichen nicht aus, um die Klimaziele von Paris zu erreichen. Wir benötigen wenigstens 55% CO2 Reduktion in diesem Jahrzehnt um die Katastrophe abzuwenden. Was bedeutet das für die Region Stuttgart? Wir müssen jetzt agieren und weiter die richtigen Weichen stellen.

In den kommenden Wochen werden wir viel diskutieren und Kompromisse schließen. Kompromisse sind essentieller Bestandteil unserer Demokratie. Dieses bewährte Mittel darf uns aber nicht im Wege stehen die Klimakrise zu bewältigen. Mit der Physik kann man nicht Verhandeln, keine Deals abschließen und keine Kompromisse eingehen. Die Zeit für kleine Schritte in die richtige Richtung ist vorbei. Die Zeit ist vorbei, in der wir uns um die Verantwortung drücken können. Wer jetzt noch Kompromisse mit dem Klima eingehen will, versündigt sich an der Zukunft.

Die Menschen in der Region Stuttgart erwarten, dass wir uns dieser Krise stellen und wir Grüne nehmen diese Verantwortung an. Wir wollen kraftvoll den Haushalt und die Politik des Verbandes Region Stuttgart gestalten. Auch die aktuellen Umfragen zeigen das uns entgegengebrachte Vertrauen und die Erwartung die Probleme unserer Zeit kraftvoll anzugehen. Dafür stehen wir, Bündnis 90 / Die Grünen, nicht nur mit unserem Ministerpräsident Winfried Kretschmann als die Baden-Württemberg-Partei und die stärkste Kraft in der Landeshauptstadt, bald auch mit der allerersten Oberbürgermeisterin Stuttgarts – nein! – dafür stehen auch wir hier als stärkste Kraft im Verband Region Stuttgart.

Wir machen Klimaschutz zur Chefsache: Eine Klimaschutzmanagerin soll die Zuständigkeit für die Querschnittsaufgabe Klimaschutz in die Verwaltungsspitze holen und koordinieren.
Alle Entscheidungen im Verband Region Stuttgart müssen zukünftig unter der Prämisse des Klimaschutzes getroffen werden. Dazu sollen alle Beschlussvorlagen mit einem „Klimavermerk“ versehen werden, der die Wirkungen auf das Klima beschreibt und quantifiziert. Die Prämisse des Klimaschutzes wird heute und zukünftig immer Grundlage unseres Handelns sein.

Das betrifft auch den Klimaatlas, dem wir mehr Gewicht geben werden. Bereits bei der Aufstellung von Flächennutzungs- und Bauleitplänen sollen die Klimaauswirkungen Entscheidungsgrundlage für Planungen sein.

Häufig übersehen beim regionalen Klimaschutz ist unsere Landwirtschaft vor Ort. Nach dem Freiburger Vorbild werden wir deswegen die Regionale Landwirtschaft stärken. Dort wurden durch eine Studie Maßnahmen entwickelt um das regionale Ernährungssystem auszubauen.

Denn, kurze Wege sind ein Teil der Lösung für die nach wie vor hohen Emissionen im Verkehrssektor. Mit 34% macht der Verkehr den größten Anteil am CO2 Ausstoß von Baden-Württemberg aus. Trotz effizienterer Technologien ist der Ausstoß seit 1990 nicht gesunken, er ist gestiegen.

Umso wichtiger ist es, dass wir in der Mobilitätsregion Stuttgart voranschreiten und die Senkung der verkehrsinduzierten Emissionen vorantreiben: Eine wichtige Rolle im Mix der nachhaltigen Energieträger wird in Zukunft der Wasserstoff spielen. Auf dem Weg zu einer Wasserstoffregion soll der Einsatz von Grünem Wasserstoff in unseren Expressbussen erprobt werden.

Die größte Verantwortung bei der Reduktion der Verkehrsemissionen haben wir aber beim Ausbau des ÖPNV. Die Region Stuttgart verursacht jährlich ¼ der CO2 Emissionen von Baden-Württemberg. Hier liegt es in unserer Verantwortung den regionalbedeutsamen Schienenverkehr auszubauen und mehr Verkehr auf die umweltfreundliche Schiene zu verlagern.

Aber nicht nur beim Ausbau sind wir gefragt. Als größte Anteilseignerin der öffentlichen Hand am VVS haben wir auch beim Tarif eine starke Stimme.

Im vergangenen Jahr haben die Landkreise trotz des großzügigen Angebots von Verkehrsminister Hermann die Chance verpasst, mit einer Nullrunde den Erfolg der Tarifzonenreform fortzusetzen. Insbesondere für die Kolleginnen und Kollegen der CDU habe ich heute ein paar Ratschläge dabei wie man gute Politik macht: Eure Gemeinderatsfraktion in der Landeshauptstadt wollten uns letztes Jahr von links überholen und nicht nur eine Tariferhöhung für 2020 ausschließen – nein! – sie wollten gleich prophylaktisch uns die diesjährige Diskussion ersparen und eine Nullrunde für 2021 mitbeschließen. Chapeau! Gleichzeitig bringen Sie es zustande hier bei uns in der Regionalversammlung und in den Landkreisen weiterhin das Märchen zu erzählen vom fehlenden Geld. Das bei einer sinkenden Regionalumlage und Kreisumlagen auf Tiefststand. Vielleicht sprechen Sie sich nächstes Mal ab? Dann hätten wir uns den Ärger in diesem Jahr vielleicht erspart? Auch dieses Jahr wäre der Landesverkehrsminister bereit gewesen, mit Landesmitteln zu helfen. Aber, nein, wir werden die Einzigen im Land sein, die während der Corona-Krise die Fahrpreise um ganze 2,66% anheben werden. Beim Einzelfahrschein sind es sogar 3,4%. Ob das wirklich mehr Menschen in die Busse und Bahnen lockt? Fraglich!

Ärgerlich ist auch wie die Entscheidung dieses Jahr zustande gekommen ist: Bereits bevor der politische Meinungsbildungsprozess gestartet ist, entschied ein Aufsichtsrat eines Verkehrsunternehmens, nämlich die Stuttgarter Straßenbahnen AG, dass eine Erhöhung um 2,66% notwendig ist. Öffentlicher Nahverkehr ist ein Gut der öffentlichen Daseinsvorsorge. Als öffentliches Gut müssen die öffentlichen Hände auch vorab die Gelegenheit bekommen eine Haltung über den Wert dieses Guts zu entwickeln.
Seit Jahren haben wir eine Fehlentwicklung: Mit der Erhöhung der Pendlerpauschale und stetig sinkender Spritpreise werden Anreize zur Nutzung konventioneller Autos geschaffen. Gleichzeitig steigen die Strompreise für Elektroautos und wir erhöhen Jahr für Jahr die Preise für den öffentlichen Nahverkehr. Wir müssen diese Fehlentwicklung stoppen. Wenn die Landkreise nicht bereit sind zukünftig mehr Geld in den ÖPNV zu stecken, dann brauchen wir eine Nahverkehrsabgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Nun kommt die erneute Erhöhung und wir werden sie den Fahrgästen nur erklären können, wenn wir konsequent den Verkehr ausbauen und neue Angebote machen:
Bereits vergangenen Haushalt haben wir ein Tarifsymposium initiiert, das nun im kommenden Jahr stattfindet. Die Corona-Pandemie fordert dringend Verbesserungen am Tarif. Ein Monatsabo ist plötzlich nicht mehr attraktiv, wenn man die Hälfte der Woche im Homeoffice ist. Handy-Tickets ermöglichen uns die Einführung dringend benötigter Teilzeittarife. Dies möchten wir mit einem Antrag unterstützen.
Auch eine Ausweitung des Kurzstreckentickets und die Integration der InterCity-Züge in den VVS-Tarif möchten wir im Rahmen des Tarifsymposiums prüfen.
Beim Angebot soll es Verbesserungen auf der erfolgreichen Linie S60 geben: Sie soll auch am Sonntag bis nach Stuttgart durchgebunden werden. Auch in der Nebenverkehrszeit kann die S60 zumindest bis nach Leonberg fahren. Es kann nicht sein, dass man abends und am Sonntag für die Strecke von Sindelfingen nach Leonberg 40 Minuten braucht. Die Infrastruktur ist da. Die Betriebskosten sind mit 650.000€ überschaubar. Mit der Umstellung benötigt man für die gleiche Strecke nur noch 25 statt 40 Minuten.
Das sollte, liebe Kolleginnen und Kollegen, doch möglich sein.
Ebenso wollen wir das Thema Nachtverkehr angehen. Im vergangenen Haushalt haben wir beantragt den höchst erfolgreichen Nachtverkehr vom Wochenende auch unter der Woche anzubieten. Nun ein Jahr später liegt das Freizeitleben lahm. Dennoch gilt es jetzt die Weichen für die Zeit nach Corona zu stellen: Die Landeshauptstadt wird erstmals einen durchgängigen Nachtverkehr mit Nachtbussen die gesamte Woche anbieten. Auch wir wollen zum Kleinen Fahrplanwechsel im Sommer nächsten Jahres das Angebot ausbauen und die Betriebszeiten der S-Bahn zumindest um einen Umlauf verlängern. Damit unterstützen wir die Wiederbelebung des Freizeitlebens in der Region.
Mittelfristig aber, soll die S-Bahn die ganze Nacht fahren und keine Geburtstagsfeier mehr mit der letzten Bahn enden.

Das gilt für uns nicht nur für Stuttgart und Ludwigsburg, sondern auch für Sulzbach und Waldenbuch: Wir wollen ein einheitliches On-Demand-Rufbussystem für die gesamte Region Stuttgart. On Demand, also „auf Abruf“, ist momentan mit SSB flex im Freizeitverkehr in der Landeshauptstadt erfolgreich. Dabei sehen viele Expertinnen und Experten darin die Zukunft des ÖPNV in der Fläche. Der Linienbus im Dorf wird zum Auslaufmodell. Er fährt nur selten und weil er selten fährt, wird er nur selten genutzt. Ein Teufelskreis. Als Mobilitätsregion Stuttgart wollen wir voran gehen und erarbeiten, wie wir die Zukunft der Mobilität am schnellsten, aber auch am sinnvollsten in unseren ÖPNV integrieren können.

Auch unsere S-Bahnen möchten wir fit für die Zukunft machen: Wir möchten im Zuge des Redesign ein Update für das Bildschirminformationssystem und unser teuer bezahltes WLAN. Eine Million lassen wir uns jährlich den Betrieb von WLAN in den S-Bahnen kosten. Eine richtige Entscheidung und wichtige Investition. Doch leider hängt die Qualität der WLAN-Verbindung von dem Ausbau und der Kapazität des Mobilfunks ab. So ist die teuer bezahlte WLAN-Infrastruktur im Herzen des S-Bahn-Netzes, der Stammstrecke, nutzlos. Die Mobilfunknetze sind in den unterirdischen Strecken und Stationen heillos überlastet. Gemeinsam mit den Mobilfunkanbietern soll der Verband Lücken im Netz beseitigen und die Kapazität des Datenverkehrs in der Stammstrecke ausbauen.

Schließlich möchte ich noch ein Haushaltsprojekt der Grünen Fraktion vom vergangenen Jahr ansprechen: Letztes Jahr haben wir ein Förderprogramm für den Ausbau des regionalen Fahrradverleihsystems RegioRad beantragt. Heute können wir mit Fug und Recht sagen: Die Region hat auf dieses Förderprogramm gewartet. Innerhalb von zehn Wochen sind gleich neun Förderanträge für fünfzehn Stationen eingegangen. Damit bekommt RegioRad endlich den Schub, den wir uns gewünscht haben.
Mit diesem Förderprogramm leistet die Region einen Beitrag zur Verkehrswende in den Kommunen und zum Klimaschutz in der Region. Da nun bereits nach wenigen Monaten die Überzeichnung des lang angelegten Förderprogramms droht, beantragen wir die Mittel zu verdoppeln. Ein Dank geht an die mitzeichnenden Fraktionen SPD und Linke/Pirat.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss:
Es gilt Verantwortung zu übernehmen für die Herausforderungen unserer Zeit. Für die unmittelbaren Herausforderungen der Corona-Krise, aber auch für die abstrakten Bedrohungen des Klimawandels für unsere Region. Unsere Wirtschaft steckt nun inmitten eines Transformationsprozesses. Wir werden nicht nachlassen die Richtung für die Entwicklung unserer Region vorzugeben. Wir werden nicht nachlassen, unsere Politik unter die Prämisse des Klimaschutzes zu stellen und die Verkehrswende voranzutreiben. Wir, Bündnis 90 / Die Grünen übernehmen die Verantwortung für die Herausforderungen unserer Zeit. Nun gilt es in diesem Haushalt gemeinsam weise Entscheidungen zu treffen. Dazu sind wir auf Sie angewiesen. In diesem Sinne wünschen wir uns allen gute Haushaltsberatungen und ein konstruktives, kollegiales und offenes Miteinander.

Vielen Dank!